Feature-Mo< Zurück 19.12.2009
Von Simon Lehrner
irre witzig, grausam wirklich, befreiend wütend, schaurig-schön plappernd, detailverliebt intelligent, poetisch weise, humorvoller Pulp, kontrastreich verstörend, lustig überraschend und grafisch toll (in der Reihenfolge) – beinahe alles, nur nicht „abgefahren“. Eine Kritik am Film (und platten Wortwitzen) - in zwei Teilen.
Facettenreich und überraschend schien mir zu wenig Beschreibung für die zehn unterschiedlichen Filme und so hier nun eine Kritik in Langform, um auch dem Format von „Im Auto“ zu genügen. Die Episoden sind nämlich alle mehr als einen Einzeiler wert. Noch eine Warnung vorweg: ich habe versucht keine Überraschungen zu zerstören, nicht zu viel Handlung vorwegzunehmen. Ganz vermeiden ließ es sich natürlich nicht.
Episode 1 (Samuel Traber) : „Im Auto“ beginnt in Dunkelheit; draußen tiefste Nacht, drinnen geistige Umnachtung. Die Zuschauer wissen eben so wenig wie die Charaktere, wie und wohin sie da eigentlich geraten sind. Ein Auto irgendwo im Nirgendwo. Die erste Dialogzeile dann aus dem Dunkel über 's Dunkel ist auch der erste Lacher (den StudentInnen blieb das Lachen über den Preis des Autos oft noch im Hals stecken) – der Humor stimmt sofort. Und da kann die Stimmung im Auto auch Achterbahn fahren, sich Sinn und Unsinn langsam in grün-blauen Rauch auflösen, die Episode „Grenzgang“ bleibt trittsicher im irren Witz, der den Zustand der Charaktere auf den Punkt bringt. Das wenige Licht ist gut genutzt und unterstützt den gelungenen Dialog. Schade einzig, dass der dritte Charakter kaum genutzt wird. Nach seiner genialen Einführung und dem Kontrast, den er liefert, hätte sich mehr aus der Figur machen lassen, als sie nur zur Erklärung der Geschichte zu nutzen. Etwas anarchistische, lustige Verwirrung hätte die Episode vielleicht auch gebührend enden lassen.
Episode 2 (Johanna Moder): „Party People“ ist der Spiegel des gesellschaftlichen Grauens, ein Film über die Mühlen des sozialen Lebens. Da ist man ewig die Gute, fährt die Meute – viel zu viele schon einmal - brav durch die Pampa zur Hochzeit und dann schaffen die nur Stress und Verzweiflung! Die zweite Episode aus „Im Auto“ ist eine Geschichte über den Festtagswahnsinn und wirkt wie ein Reality-TV-Experiment über Gruppendynamik, oft tatsächlich so real, dass es weh tut. Mit dem Element der subjektiven Kamera werden Momente der inneren Verzweiflung eingefangen , während nach außen weiter brav ein Lächeln aufgesetzt wird. Dass der Schnitt und die Kameraführung dabei mitunter hektisch wirken, mag geplant sein, weil ja auch Fahrerin gehetzt durch die Gegend irrt, ist manchmal aber unangenehm zu folgen. Besondere Hochachtung hingegen gilt dem oder der Ton-Verantwortlichen. Wer das Geheimnis des Tons noch nicht kennt, dem wünsch' ich viel Spaß beim Gedankenexperiment oder der Suche, woher die Aufnahmen eigentlich kommen!
Episode 3 (Gernot Saiko): Wenn im Leben alles schief geht, dann nichts wie in 's Auto und raus! Wenn im Auto alles schief geht, sogar symbolische Racheakte peinlich enden (ein gelungener, witziger Bruch zur ernsten Handlung), dann raus dem Auto und selbst ist der Mann! Der Vorschlaghammer im Kofferraum erspart den Psychotherapeuten. Der Autor, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion (!) Gernot Saiko schuf einen eindrucksvoll aufgenommenen Wutausbruch. Mit grauenhaft-gutem Bart und Hemd wirkt er anfangs zwar schon etwas zu hoffnungslos (den Zuschauer im Monolog so offen aufzuklären wäre nicht nötig gewesen), zum Schluss ist der Verzweifelte aber ganz in seinem Element. Wer so geschmacksresistent in der Wahl des Autos und des Aussehens auftritt, dem glaubt man auch jedwede Verzweiflungstat.
Episode 4 (Beatrix Brunschko/Helmut Köpping): In manchen Momenten des Lebens wünscht man sich die Zeit zurück zu drehen, gewissermaßen den Rückwärtsgang einzulegen, um eine falsche Entscheidung doch noch gut zu machen. Manchmal ist dieser Fehler auch schon einmal die eigene Liebenswürdigkeit. Selten wurde das anschaulicher präsentiert als in dieser Episode. Wie hier (zwei wunderbar besetzte) Figuren aneinander vorbei reden, nichts gesagt und doch viel geredet wird und die Fahrerin realisieren muss, worauf sie sich hier eingelassen hat, ist erschreckend lustig. In der Situation eingefahren zeigen sich plötzlich unter dem kollegialen Ton Machtstrukturen, unter dem glücklichen Lächeln Bedauern über das Leben und im Schweigen tun sich überhaupt Abgründe auf (etwa, wenn plötzlich auch an den Figuren nicht alles ist, wie scheint). Als Lehrerkind und Autostopper fand ich hier einen manifestierten Albtraum, humorvoll verpackt. Ein Small-Talk-Horrorfilm, bei dem auch das Ende stimmt.
Episode 5 (Nick Gruber/DREISTIL): Ein VW-Bus! Danke dafür – mit der detailverliebten Innenausstattung (in schönen Bildern in Szene gesetzt) wird es schon von Beginn an zum Zuhause für den Zuschauer mit Hippie-Träumen. Die Episode „Teilschuld“ präsentiert ein Szenario, das vielen bekannt vorkommen könnte. Eine lange Autofahrt, nichts zu tun und – immer zuverlässig – ein politisierender Philosophiestudent mit an Bord. Möge das Duell der Weltanschauungen beginnen! Die Episode versucht lustig und intelligent zu präsentieren, warum die Welt so läuft, wie sie läuft. Mit viel Liebe zu den Charakteren und einer Rahmenhandlung mit guter (und nötiger Wendung) werden hier politische Positionen gegenüber gestellt, Zusammenhänge in witzigen Metaphern erklärt, darüber aber auch ein wenig zu viel gesprochen. „Teilschuld“ schafft es mit Witz nicht zu moralisierend zu wirken und doch viel Philosophie und Politik zusammengefasst zu erklären, präsentiert aber auch zu viel für den (zeitlichen) Rahmen der Episode. Manche mag das zum Wiedersehen einladen (mich etwa), andere schalten ab.
Meine Wertung: |
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Filme gehören besprochen. Kinomo! Du fängst an!